Gedanken für den 22. Juni 2020 - Predigt zum 21. Juni -

Predigt zu Matthäus 11,25-30

Mein letzter Gottesdienst ist viele Wochen her. Es war der 8. März diesen Jahres.

Ich saß damals auch ein paar Stunden an meiner Predigt, weil ich mit der offiziellen Lesepredigt für jenen Sonntag einfach nicht „warm“ wurde.

Zu der Zeit wurde es Covid-19-mäßig langsam kritisch, na ja, eigentlich so wage ungewiß. Vom Händeschütteln hat man damals schon vermehrt abgesehen. Es wurden nach und nach immer mehr Warnungen und Empfehlungen ausgesprochen.

Als meine Predigt dann endlich fertig war, war ich zufrieden. Vielleicht meine beste Predigt bisher, dachte ich so. Aber ich kratzte mich dennoch am Kopf und fragte mich: Sagt sie wirklich aus, was der biblische Text meint? Oder ist sie zu theoretisch geblieben? Oder gar zu ehrlich – zu viel, was ich meine wie der biblische Text in die aktuelle Situation passt?

Ich widmete mich mit der Predigt den Ängsten und Sorgen der beginnenden Corona-Krise. Nichts ahnend, dass die zunächst letzte normale Schulwoche bevorstand, Ausgangssperre, Mundschutz-Verordnungen, Gottesdienst-Pausen, Einschränkung der Grundrechte etc. folgen würde.

Im Gottesdienst sah ich die Gemeinde, die mir zuhörte.

Für Manche war die damalige Situation ebenso verwirrend wie für mich. Mein Herz sank noch etwas tiefer. Hatte ich die richtigen Worte für die Gemeinde dabei?

Nach dem Gottesdienst stand ich an der Tür und verabschiedete die Gemeinde. Ich bat an auf das Händeschütteln zu verzichten. Eine Dame reichte mir die Hand, schaute mich ernst an und sagte: „Danke. Das war genau das, was ich heute gebraucht habe.“

Jesus sagt: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.

Der heutige Bibeltext gilt sicherlich nicht nur für jene Dame vom 8. März oder insbesondere nur für mich, sondern bestimmt für Viele unter uns.

Sind wir doch alle inzwischen geprägt von Einschränkungen unserer Grundrechte durch Mundschutz-Pflicht, Abstandsbestimmungen, Hygienevorschriften, Regelungen aller Art. Dazu für den Einen oder Anderen die Balance zwischen HomeSchooling, HomeOffice, HomeStudium, Haushalt oder inzwischen auch alternierenden Präsenzunterricht an den Schulen unserer Kinder – aber auch noch unter massiven Einschränkungen.

Und Jesus sagt dazu nicht: „Strengt euch halt ein bisschen an, dann werdet ihr’s schon schaffen.“

Unsere Anstrengungen sind sowieso schon teils übermenschlich. Hin und wieder liegen die Nerven blank.

Sondern Jesus sagt quasi: „Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Bei mir werdet ihr Ruhe finden. Nehmt das Joch auf euch, das ich euch gebe. Lernt von mir: Ich meine es gut mit euch und sehe auf niemanden herab. Dann wird eure Seele Ruhe finden. Denn mein Joch ist leicht. Und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last.“

Bei Jesus dürfen wir einfach sein. Jeder darf der sein, der er ist. Oder die sein, die sie ist. Alt oder jung. Mutig und verwegen oder schüchtern und ängstlich. Voller Kraft und Saft oder verzagt. Krank oder gesund. Voller Vertrauen oder voller Zweifel. Frisch verliebt oder auf der Suche nach Liebe. Voller guter Ideen, wie die Welt besser werden kann oder voller Schuld an eigener und fremder Not.

So, wie ich bin, darf ich zu ihm kommen und bei ihm sein. Wie zu einem guten Freund. Ich darf nicht nur bei ihm sein, sondern er legt mir auch noch den Arm liebevoll um die Schulter. Und er sagt erst einmal gar nichts. Auch ich muss nichts sagen. Ich darf einfach da sein. Und langsam fange ich an, mich selbst wieder wahr zu nehmen.

Langsam merke ich, wie fröhlich, traurig, mutig, ängstlich, glaubend, oder skeptisch ich gerade bin. Wie mich meine Ideen beflügeln oder mich meine Schuld belastet.

Vielleicht kann ich leise in mich hineinlachen. Oder ich fange laut an zu weinen. Oder ich spüre, wie weh die große Leere im Herzen tut. Oder ich schreie vor Wut, weil ich wieder merke, wie sehr ich verletzt worden bin.

Das ist vielleicht das Joch, das er mir aufgibt: Indem er mich nimmt, wie ich bin; nehme mich in seiner Gegenwart wahr, wie ich bin. Plötzlich sehe ich mich nicht mehr, wie ich gerne wäre.

Oder ich sehe nicht mehr, was andere von mir fordern. Plötzlich sehe ich einen von Gott geliebten Menschen mit Stärken und Schwächen.

Plötzlich nützt es niemandem mehr etwas, wenn ich mir oder anderen etwas vormache.

Wenn ich das in Jesu Gegenwart aushalte, dann kann ich zur Ruhe kommen.

Amen.

(Carsten Jedam)