Gedanken für den 7. April 2020 - Die Schöpfung seufzt

Palmsonntag - der Beginn der Karwoche. Leiden und Sterben Jesu stehen für uns als Christinnen und Christen im Zentrum dieser Zeit, doch diese Woche werden wir Tag für Tag auch das Leiden und Sterben vieler Menschen weltweit auf unseren Bildschirmen verfolgen.

Vieles wird anders sein in dieser Woche und an diesem Osterfest - und auch darüber hinaus. "'Sieben Wochen ohne ... Kontakt', das hätte ich mir als Motto für die Fastenzeit nicht selber gewählt", schreibt ein Kollege. Immer mehr Menschen beginnen, unter dieser sozialen Distanz zu leiden, obwohl wir nicht zuletzt dank der Digitalisierung vielfältige und zum Teil sehr kreative Formen entwickelt haben, in Kontakt zu bleiben. Die persönliche Begegnung aber hat eine andere Qualität, das haben wir gerade bei einem Wochenendseminar gemerkt, das wir - mit gutem Erfolg! - per Videokonferenz durchgeführt haben.

Ich muss in diesen Tagen immer wieder an ein Wort des Apostels Paulus denken, das mich lange schon begleitet: Die ganze Schöpfung, so schreibt der Apostel im 8. Kapitel seines Römerbriefes, seufzt und sehnt sich mit uns nach Erlösung.

Als Umweltbeauftragte haben wir diesem Seufzen der Schöpfung immer wieder eine Stimme verliehen. Wir haben auf die Komplexität unserer Ökosysteme hingewiesen und auch auf ihre Zerbrechlichkeit. Oft wurden wir nicht gehört...

Jetzt erleben wir, wie zerbrechlich unsere Gesundheitssysteme sind, wie zerbrechlich die Weltgemeinschaft, wie zerbrechlich unser wirtschaftliches Miteinander. Ein neuartiges Virus bringt alles zum Stillstand. Und wir stöhnen unter den Beschränkungen, wir sehnen uns nach neuer Normalität im Alltag.

Wissenschaftler*innen betonen, dass solche Übersprünge eines Virus von Tieren auf uns Menschen gerade deshalb immer wieder begegnen werden, weil wir mit der Natur so eng zusammenleben beziehungsweise so weit in vormals unberührte Lebensräume vorgedrungen sind. Und dieses kleine Virus führt uns jetzt vor Augen, dass wir trotz unseres technischen Fortschrittes und unserer umfangreichen Fähigkeiten "die" Natur nicht beherrschen können, sondern Geschöpf unter Mitgeschöpfen blieben. Fragil und verletzbar.

Wir sehnen uns nach einem Ende der Krise, wir sehnen uns nach einem neuen, ungezwungenen Miteinander - wir sehnen uns nach Erlösung (ich weiß, dass das jetzt sehr innerweltlich verstanden ist).

Die Diskussion wird lauter darüber, wie die Welt nach der Krise aussehen wird, wie der Wiederaufbau zu gestalten ist. Die EU-Kommission betont, dass wir aus der Erfahrung der Verletzlichkeit lernen müssen - gerade mit Blick auf die Klimakrise, die keineswegs bewältigt ist. Sie setzt darauf, den European Green Deal und die Unterstützung für die Wirtschaft nach der Krise eng miteinander zu verzahnen. Doch es ist keineswegs ausgemacht, ob sich dieses Denken durchsetzen wird. Aber vielleicht hilft es, wenn wir uns und andere mit den Worten des Paulus daran erinnern, dass unser Erdsystem und unser gesellschaftliches System in gar nicht so verschiedener Weise beide zutiefst verletzlich sind...

Die Karwoche ist für uns Christinnen und Christen die Verpflichtung, unsere Augen nicht vor dem Leiden zu verschließen: Wir schauen auf das Leiden Christi, wir schauen auch auf das Leiden aller Kreatur. Bringen wir das Leiden dieser Welt in dieser Woche ganz bewusst unter das Kreuz, vertrauen wir uns und alle Kreatur in unserem Leiden Christus an und hoffen wir auf die Kraft der Auferweckung!

Kirchenrat PD Dr. Wolfgang Schürger
(Beauftragteer für Umwelt- und Klimaverantwortung

der Ev.luth. Kirche in Bayern)