Gedanken für den 18. Mai 2020 - Das Ende der Welt

Neulich sagte vor einer Bestattung außerhalb unseres Gemeindegebiets jemand zu mir: "Es steht ja eh geschrieben, dass es so zu Ende gehen wird mit der Welt...". Weil ich mit der Einstimmung auf die Bestattung beschäftigt war, habe ich erst im nachhinein über diesen Satz nachgedacht. Er erinnert an mich an die Schilder und Plakate von christlichen Freigeistern in den großen Fußgängerzonen. Immer mal wieder in meinen Leben bin ich auf Menschen getroffen, die vor dem Hintergrund biblischer Schriften überzeugt waren zu wissen, was auf die Menschheit und die Welt zukommt – in der Regel vor allem an Schlimmem.

 

Tatsächlich zeith sich durch viele biblische Schriften – im Alten wie im Neuen Testament und auch in den Evangelien – eine starker Zug sogenannter Apokalyptik. Gemeint sind damit Theorien und Anspielungen auf das Ende der Welt und die Geschehnisse darum herum. Der Wortursprung liegt im Griechischen und bedeutet "aufdecken" oder "enthüllen", denn der literarische Modus der Apokalyptik ist die Vision. In eindrucksvollen Bildern schildern die biblischen Apokalyptiker, was ihnen Gott (oder göttliche Diener) über die drohende Zukunft enthüllt haben.

 

In der Geschichte des Christentums haben solch apokalyptische Texte eine große Faszination ausgeübt, besonders auf charismatische Einzelgänger und in schwierigen Zeiten. Insofern wundert es mich nicht, wenn die Apokalyptik gerade wieder stärker gefragt ist. Doch einen meines Erachtens wichtigen Aspekt zur Apokalyptik und zu ihrem Verständnis möchte ich gerne betonen:

 

Apokalyptischen Texten geht es eigentlich nicht um die Zukunft, sondern um das Handeln heute!

 

Das mag merkwürdig anmuten, schließlich spielen apokalyptische Texte doch in der Zukunft und schildern – bisweilen sehr detailreich – kommende Geschehnisse. So beschäftigt sich nahezu das gesamte Buch der Johannesoffenbarung damit, wie die jetzige Welt zu Ende gehen wird: sieben Siegel, sieben Posaunen, vier apokalyptische Reiter, die Überwindung des Satans, ... - all das führt in der Darstellung der Johannesoffenbarung zu Leid und Tod, Krankheit und Elend und wird bildhaft wie schreckensreich beschrieben. Doch geht es in der Johannesoffenbarung tatsächlich nicht um die Zukunft – stattdessen errichtet das Buch wie alle apokalyptischen Texte eine zukünftige Drohkulisse, um die Leserinnen und Leser im Hier und Jetzt zu motivieren so zu handeln, wie es der Autor des apokylptischen Texts für richtig erachtet. In den ersten Kapiteln der Johannesoffenbarung wird entsprechend die Treue und Beständigkeit im Bekenntnis zu Gott und zu Christus gelobt – auch angesichts von Bedrängnis und Verfolgung. Andererseits wird Abfall und Verleugnung verurteilt. Das war die historische Situation der Abfassung der Johannesoffenbarung: Die christlichen Gemeinden, die Christinnen und Christen, waren Verfolgung und Not ausgesetzt und manche hielten an ihrem Glauben fest, andere wankten oder ließen sich abbringen. Es war die Situation des 2. Jahrhunderts nach Christus im römischen Reich.

 

Und für genau diese bedrängten Christinnen und Christen schrieb der Autor diesen Offenbarungstext – nicht um ihnen die Zukunft zu deuten, sondern um sie zum Durchhalten zu bringen: Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben (Offb 2,10). Wer überwindet, dem will ich zu essen geben dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist (Offb 2,7). Haltet durch!

 

Zweierlei ist mir daran besonders wichtig:

  1. Im Leben wir im Glauben gibt es Durststrecken – davon gibt die Bibel vielfach Zeugnis. Doch Leid ist kein Zeichen der Ferne Gottes. Haltet durch und haltet fest an der Hoffnung; für diese Welt und die nächste. Das ist die Botschaft der Apokalyptik ohne Weltuntergangslyrik.

  2. Die Apokalyptik rät keineswegs zu Besserwisserei oder zu Fatalismus! Wenn man in irdischen Ereignissen wie den derzeitigen Gefahren für den Fortbestand der Welt erkennt (und zumindest der Problemkomplex Klimawandel bietet dazu wohl gewissen Anlass), dann wäre die Botschaft der Apokalyptik nicht: Wir haben es doch immer schon gesagt – die Welt geht unter! Sondern: Tu was, denn siehe, was für schlimme Ereignisse auf uns zukommen (könnten)! Aber es ist noch nicht zu spät, also handle!

Ich glaube gerade jetzt ist unsere Verantwortung für die Zukunft aber auch unser Einfluss darauf größer als das noch vor kurzem der Fall war. Viele Dinge sind in Bewegung. Manches ändert sich zum Schlechten. Anderes auch zum Guten. Aber der Apokylyptik wäre dabei wichtig, dass die Dinge nicht einfach nur sich ändern, sondern dass ich einen Teil meines Schicksals und einen Teil des weiteren Verlaufs der Welt mitbestimmen kann. Und soll.

(Pfarrer Steffen Barth)