Gedanken für den 5. Mai 2020 - "Träumen Sie noch?"

Manchmal findet man in der Bibel wirklich Bemerkenswertes. Da steht im Alten Testament der folgende Abschnitt:

Ich will meinen Geist ausgießen über alles, was lebt.

Und eure Kinder sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen.

(Joel 3,1)

Vom Propheten Joel stammt dieser Text.  Joel - einer von den kleinen Propheten, einer von den Übersehenen. Viel wissen wir nicht von ihm. Etwa im Jahr 400 vor Christi Geburt hat er gelebt und geredet. Bemerkenswert sind vor allem zwei Dinge bei Joel.

Er rechnet mit Gott - mit Gottes Gegenwart, mit seiner Nähe.

Und er weissagt, dass Gottes Geist zu den Menschen kommen wird.

Ansonsten sind es eher dunkle Bilder, die Joel von der Zukunft entwirft. Er droht, mahnt und schimpft. Aber hier in unserem Text schildert er etwas Positives. Er spricht von Träumen - von Errettung: Eure Kinder sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen.

Dass Kinder sich tolle Sachen ausdenken, kann ich nachvollziehen, dass junge Leute Flausen im Kopf haben, mag auch noch angehen, aber dass „eure Alten Träume haben“ ist bemerkenswert. Ich erlebe viele Menschen - und nicht nur Ältere -, die verunsichert und entmutigt sind, die keine Perspektiven sehen, die die Zukunft der Welt in düsteren Farben malen: Umweltzerstörung, Kriegsangst, Terrorgefahr, demographischer Wandel, Zukunftsangst und jetzt auch noch Corona.

Wo bleiben da die Träume?

Peter Ustinov wurde mal gefragt, was er denn so träumt: Und er antwortete scherzhaft - wie es seine Art war: „Ach, ich habe mir vor kurzem das Träumen abgewöhnt.“

Glücklicherweise funktioniert das so nicht. Wir können uns das Träumen nicht einfach abgewöhnen wie eine lästige Angewohnheit. Und wir sollen uns das Träumen nicht abgewöhnen auch im Blick auf die Zukunft dieser Welt. Denn nur wenn wir Träumen, dann entstehen neue Ideen, wie sich die Welt weiter entwickeln kann.

Natürlich: Alles wird anders. Vieles erscheint uns schwierig, ungewiss und bedrohlich. Träumen wird in dieser Situation zur Notwendigkeit. Phantasie ist gefragt.

Gott hat seinem Volk durch den Propheten Joel verheißen: Es gibt eine Zukunft. Ihr dürft und sollt davon träumen, egal wie alt ihr seid. Diese Verheißung ist zeitlos. Wir dürfen sie für uns übernehmen, für alle Generationen.Denn Gott geht mit - mit jedem Menschen.

Ich wünsche uns gute Träume!

(Pfarrerin Regine Weller)